Neuaufbruch in Dürrlauingen

Die Vermittlungsquoten in Sankt Nikolaus sind hoch. Welche Faktoren tragen dazu bei und wie macht sich die Einrichtung fit für die Zukunft?
Michael Breitsameter, Gesamtleiter des Sankt Nikolaus KJF Berufsbildungs- und Jugendhilfezentrums in Dürrlauingen
Michael Breitsameter, Gesamtleiter des Sankt Nikolaus KJF Berufsbildungs- und Jugendhilfezentrums in Dürrlauingen (Foto: KJF)
26. Juli 2019

Auch im ländlichen Raum bringen Angebote der sozialen und beruflichen Integration klare Vorteile, gerade für junge Menschen mit komplexeren und damit anspruchsvolleren Bedarfen.  Die herausragenden Vermittlungsquoten in Arbeit und in eine selbstständige Lebensform des Sankt Nikolaus KJF Berufsbildungs- und Jugendhilfezentrums in Dürrlauingen belegen den Erfolg. Welche Faktoren tragen dazu bei und wie macht sich die Einrichtung fit für die kommenden Jahre? Acht Fragen an den Gesamtleiter Michael Breitsameter:

Herr Breitsameter, in Dürrlauingen tut sich viel. Die KJF Augsburg investiert in die Zukunft des traditionsreichen Standorts. Welche Vorteile bietet ein Berufsbildungswerk, das im ländlichen Raum angesiedelt ist?

In Sankt Nikolaus gibt es zwei Faktoren, die zusammengedacht werden müssen: berufliche Integration und persönliche Stabilisierung. Beides verbindet der Standort Dürrlauigen mit dem Vorteil seiner reizärmeren Umgebung, die weniger Ablenkungen bietet als ein urbanes Umfeld. Vor allem für die Entwicklung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit komplexerem Unterstützungs- oder Hilfebedarf ist dies besonders zielführend. Damit einher geht die hohe Bedeutung einer sinnvollen Freizeitgestaltung in Dürrlauingen. Teilnehmende können hier aus einem umfangreichen Angebot wählen und werden entsprechend begleitet, zum Beispiel durch unsere Erlebnispädagogen.

Ist die Erreichbarkeit der Einrichtung auf dem Land eigentlich ein Manko?

Das Berufsbildungs- und Jugendhilfezentrum ist gut zu erreichen – auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die kleine Lücke zum Bahnhof schließt unser Fahrdienst. Natürlich gibt es Unterschiede zum städtischen Kontext hinsichtlich Wahlmöglichkeiten und Taktung des ÖPNV. Wie bereits erwähnt, kann dies für manche Teilnehmende auch Vorteile mit sich bringen. Darüber hinaus lernt man hier rasch, sich selbst zu organisieren. Ich denke da an ganz praktische Dinge wie mit dem Flexibus von einem Ort zum anderen zu gelangen oder das Fahrrad neu zu entdecken. Auch in Zukunft wird nicht jede Arbeitsstelle oder jeder Wohnort einfach oder mit dem ÖPNV zu erreichen sein.

Welche weiteren Faktoren spielen zusammen, um die Qualität der beruflichen Ausbildung in Dürrlauingen auf hohem Niveau zu halten?

Gutes und qualifiziertes Personal ist der Schlüssel zum Erfolg. In unserem Haus arbeiten langjährige Mitarbeitende mit viel Erfahrungswissen und junges Personal, das neue Ideen einbringt. Wir legen Wert auf Qualifikation, bezahlen nach AVR-Tarif und setzen auf kontinuierlich Beschäftigte. Wir arbeiten auf der Basis der ICF; die ICF helfen uns die unterschiedlichen Unterstützungsleistungen gezielt aufeinander abzustimmen. Konzepte, die ineinander greifen, stellen sicher, dass jeder Teilnehmer genau die Unterstützung bekommt, die er braucht. Die enge Zusammenarbeit von Ausbildern, Bildungsbegleitern, Lehrern, Bezugserziehern und unseren Fachdiensten, die über die Grenzen der einzelnen Leistungsangebote hinausgeht, stellt die Umsetzung sicher.

Sie bieten 27 Ausbildungsberufe an. Immer wieder überprüfen Sie deren Attraktivität und passen diese neu an. Was ist dabei Ihr Ziel?

Wir haben die Verantwortung, dass die Jugendlichen einen Beruf erlernen, den sie beherrschen und mit dem sie sich dauerhaft am Arbeitsmarkt behaupten können. Deshalb überlegen wir immer wieder, welchen Beruf wir nicht mehr ausbilden und welchen wir hinzunehmen. Die Bäcker haben wir aufgegeben, denn es gibt immer mehr Backshops, die nur vorgefertigte Ware aufbacken. Den Fachpraktiker für Medientechnologie werden wir in naher Zukunft in Dürrlauingen anbieten, weil er sehr gefragt ist und die Entwicklung in der Druckbranche hin zu mehr Digitalisierung aufnimmt. Bei jeder Anpassung achten wir auf die Vermittlungschancen in den ersten Arbeitsmarkt und auf die Eignung der Berufe für unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Ihre Vermittlungsquoten in den ersten Arbeitsmarkt sind seit Jahren extrem hoch, in 2015 war Dürrlauingen sogar Spitzenreiter aller 52 Berufsbildungswerke in Deutschland. Was machen Sie anders?

Die erfolgreiche Integration in Arbeit ist Ziel all unserer Maßnahmen und zwar von Beginn an. Besonders verstärkt wird dies spätestens sechs Monate vor Abschluss der Ausbildung. Hinzu kommt, dass unser Team von Ausbildern und Integrationsbegleitern durch vielfältige Kontakte gut mit der Wirtschaft vernetzt ist. Natürlich unterstützen wir auch jene Absolventen tatkräftig, die an anderen Orten in Deutschland einen Arbeitsplatz suchen. Ein Großteil der Vermittlung läuft über langjährig bestehende und damit nachhaltige Netzwerke, die sich inzwischen über ganz Deutschland erstrecken. Der Erfolg zeigt sich auch bei unseren Absolventen für 2019: Von 26 angetretenen Jugendlichen haben aktuell schon 23 einen Arbeitsvertrag unterschrieben oder zumindest eine Probearbeit mit Aussicht auf Anstellung.

In welchen Bereichen sind für das in Kürze beginnende Ausbildungsjahr Plätze frei?

Wir bemühen uns grundsätzlich darum, kurzfristige An- und Nachmeldungen zu berücksichtigen. Besonders gute Chancen sehe ich derzeit bei der Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme (BvB) und bei den Ausbildungen im Bereich Hauswirtschaft, Küche, Farbtechnik- und Raumgestaltung sowie für den Bereich der Autofachwerker.

Welche besonderen Angebote des KJF Berufsbildungswerks in Dürrlauingen sollten Zuweiser und Mitarbeiter von Fachbehörden kennen?

Die Neurofeedback-Therapie bei ADHS, das ganzheitliche Adipositaskonzept und ­– jetzt neu – der weitere Ausbau unserer Kompetenz im Bereich Autismus. Erste Maßnahmen konnten wir bereits umsetzen und im kommenden Jahr steht die Zertifizierung zum Gütesiegel „Autismusgerechtes Berufsbildungswerk“ an. Für Jugendliche, die noch nicht das nötige Rüstzeug hinsichtlich ihrer persönlichen Entwicklung für eine berufliche Orientierung bzw. Ausbildung mitbringen, ist unsere Flexible Arbeits- und Berufsvorbereitung (FABV) eine gute Alternative. Kostenträger dieser 12 bis 24 Monate dauernden Maßnahme sind in der Regel die Jugendämter.

Das KJF Berufsbildungswerk in Dürrlauingen ist das älteste der drei Berufsbildungswerke unter dem Dach der KJF Augsburg. Welche Verpflichtung für die Zukunft ergibt sich aus dieser langen Tradition?

Die lange Tradition ist kein Selbstzweck an sich. Es geht darum, sich fortlaufend weiterzuentwickeln und vorhandene Stärken auszubauen. Seit einigen Jahren erleben wir insbesondere im heilpädagogischen sowie therapeutischen Bereich eine starke Nachfrage, eng verknüpft mit der Thematik sozial-emotionaler Entwicklung. Wir konnten in diesem Bereich umfassende Kompetenzen aufbauen, die zukünftig noch stärker profiliert werden sollen. Oft sind wir die letzte Chance für eine erfolgreiche Integration in Arbeit. Dies heißt nicht, dass wir uns Teilnehmenden mit weniger Förderbedarf verschließen – ganz im Gegenteil: Ein guter Mix ist der Schlüssel zum Erfolg und die Kompetenzen für herausforderndes Klientel kommen letztlich allen zu Gute. Auf diese Weise wird Sankt Nikolaus zum Ort der Chancen für alle.