Raus aus der Werkstatt, rein ins Leben!

Anton schaffte den Schritt von der Werkstatt in eine Ausbildung. Dabei machten drei ganz bestimmte Dinge seine positive Entwicklung erst möglich.
Anton hat es nach vielen Problemen geschafft
Anton hat es nach vielen Problemen im Sankt Nikolaus KJF Berufsbildungs- und Jugendhilfezentrum Dürrlauingen geschafft (Foto: KJF/Angelik Urbach)
29. Juli 2019

Anton schaffte den Schritt von der Werkstatt in eine Ausbildung. Drei Dinge machten seine positive Entwicklung möglich: das durchlässige Konzept der Offenen Werkstatt Schwaben, die ganzheitliche Förderung im Sankt Nikolaus KJF Berufsbildungs- und Jugendhilfezentrum Dürrlauingen und Antons Mut zu einem selbstbestimmten Leben.

Für Menschen wie Anton scheint der Lebensweg beinahe vorgezeichnet: Sein Vater starb viel zu jung an Krebs. Die Mutter zog alle drei Kinder groß – trotz ihrer psychischen Erkrankung. Früh litt Anton unter den Symptomen einer Depression, mit den Jahren wurden diese schlimmer. Zuletzt kannte er kaum ein anderes Umfeld als psychiatrische Kliniken. Dann – vor rund drei Jahren – wies das Jugendamt den jungen Mann mit anerkanntem Werkstattstatus der Offenen Werkstatt Schwaben zu. Eine gute Entscheidung! Für Anton begann damit eine Mutmachphase.

Er zog in eine Heilpädagogische Wohngruppe im Sankt Nikolaus KJF Berufsbildungs- und Jugendhilfezentrum in Dürrlauingen ein. "Am Anfang sprach Anton fast kein Wort mit anderen", sagt seine Bildungsbegleiterin Ida Hämmerle. In der ersten Zeit wuchs die Verbindung zwischen beiden nur langsam. Dem verschlossenen Lockenkopf, der seine schwarze Mütze bis fast zu den Augen hinab schob, hätte damals kaum jemand eine solche Entwicklung vorausgesagt: vom jungen Erwachsenen mit Werkstattstatus zur Werkerausbildung im Gartenbau, Schwerpunkt Baumschule.

Aus der Krise zur Entfaltung

Heute treffen Besucher den 22-Jährigen meist in den Außenanlagen der Ausbildungsgärtnerei, zusammen mit anderen Auszubildenden. Anton zählt immer noch zu den stillen Gemütern. Lediglich über Pflanzen spricht er ein wenig mehr. "Im Sommer arbeiten wir viel auf unseren Feldern. Wir graben Bäume, schneiden Thujas und zupfen Unkraut", erzählt der Auszubildende auf einer Runde durch die Beete, vorbei an Rosen und Buchsen. Beim Pampasgras bleibt er stehen, seine Hand gleitet über die weichen Wedel. "Cortaderia Selloana." Der botanische Begriff kommt ihm so locker über die Lippen wie anderen Menschen ihr Taufname.

Dass Antons Intelligenz überdurchschnittlich hoch ist, haben Tests längst belegt. Doch erst in Dürrlauingen erhielt der junge Mann dank der ganzheitlichen Förderung und dem engmaschigen Zusammenspiel aller Fachpersonen ein Fundament, auf dem sein Selbstvertrauen wuchs – und damit der Mut zu einem selbstbestimmten Leben jenseits der Werkstatt.

Eine Werkstatt im Sozialraum

Auch das durchlässige Konzept der Offenen Werkstatt Schwaben (OWS) half, obwohl es nicht für den Wechsel in eine Ausbildung gedacht ist. Das Besondere an der OWS: Sie ist keine in sich geschlossene Einrichtung. Vielmehr arbeiten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der OWS zusammen mit jungen Auszubildenden in den Ausbildungsbetrieben des KJF Berufsbildungswerks (BBW) in Dürrlauingen. Oder sie besuchen nach Abschluss der Berufsbildungsphase in Dürrlauingen einen wohnortnahen Betrieb des ersten Arbeitsmarktes, der seine Eignung nachweisen kann.

Auf diese Weise bietet die OWS ihren Teilnehmern eine bundesweit einzigartige Chance: Sie sammeln Erfahrungen außerhalb der Werkstatt und knüpfen soziale Kontakte zu Menschen ohne Werkstattstatus. Für Anton wurden diese Kontakte zum Motor seiner positiven Entwicklung. Das zeigt ein Blick auf seine ganz persönliche Heldenreise:

 

Phase 1: Kontakte Anton arbeitete in Dürrlauingen zunächst im Bereich der Fachlageristen mit Auszubildenden zusammen. Rasch bemerkten die Kollegen sein verstecktes Talent: Comics zeichnen. Weil der junge Mann so geschickt mit Stift und Papier umging, wollten alle anderen von ihm porträtiert werden. Erste Kontakte wuchsen.

Phase 2: Unterricht Die Arbeit bei den Lageristen brachte Anton an die Grenze seiner körperlichen Belastbarkeit. Er wechselte in die Gärtnerei des BBW, um mehr im Freien zu arbeiten. Erteilte der Meister seinen Auszubildenden Fachunterricht, durfte auch Anton mitkommen. Er fand Spaß am Lernen. Sein Wunsch nach einer Ausbildung entstand.

Phase 3: Vorbilder Bei den Gärtnern fand Anton eine Seelenfreundin. Die beiden jungen Erwachsenen verband neben ihrer Sympathie auch ihr Vorwissen über psychische Krankheiten und psychiatrische Kliniken. Die junge Auszubildende zur Fachwerkerin im Gartenbau wurde für Anton zum Vorbild.

 

Ganz unkompliziert war Antons Wechsel in die Werkerausbildung im KJF Berufsbildungswerk Dürrlauingen nicht. Als Kostenträger für die Ausbildung sprang die Agentur für Arbeit in seiner Heimatstadt ein, den Bereich Wohnen finanziert der Bezirk Schwaben.

Den Werkstattstatus gab Anton mit Beginn seiner Ausbildung gerne ab – raus aus der Einbahnstraße und rein ins Leben. „Mein nächstes Ziel ist es, die Ausbildung in eineinhalb Jahren mit der Prüfung abzuschließen und eine Anstellung zu finden“, sagt er. Am liebsten zu Hause, in seiner oberbayerischen Heimat. Eine familiäre Gärtnerei mit hoher Wertschätzung für Mitarbeitende wäre genau das Richtige.

 

Auf einen Blick:

Offene Werkstatt Schwaben (OWS)

Gründungsjahr 2015

Träger KJF Augsburg

Standort Dürrlauingen

Idee Im schwabenweiten Netzwerk eine wohnort- und betriebsnahe Qualifizierung, Beschäftigung und Integration bieten

Ziel Vermittlung von Menschen mit Teilhabebeschränkungen auf den ersten Arbeitsmarkt; Teilnehmer arbeiten in Betrieben in Schwaben, die ihre Eignung nachweisen, oder im KJF Berufsbildungswerk Dürrlauingen

Besonderheiten Die OWS bietet Teilnehmern ein anderes Umfeld als eine klassische Werkstatt; jeder erhält eine flexible und individuelle Unterstützung, um ihn persönlich und beruflich für seine spätere (und gewünschte) Tätigkeit zu qualifizieren

Ablauf Eingangsverfahren (4 bis 6 Wochen) und Berufsbildungsbereich in Dürrlauingen als Vorbereitung auf die dritte Phase in einem Betrieb

Teilnehmer Menschen mit geistigen, psychischen und leichten körperlichen Behinderungen

Infos www.kjf-ows.de

 

Kontakt:

KJF Augsburg

Bernhard Zwick

E-Mail: zwickb@kjf-augsburg.de

Telefon: 0821 3100-124