Flexible Arbeits- und Berufsvorbereitung

Eine innovative Maßnahme in der Jugendhilfe am KJF Berufsbildungs- und Jugendhilfezentrum Sankt Nikolaus in Dürrlauingen
Unterricht in der Berufsschule Sankt Nikolaus in Dürrlauingen
10. April 2017

Die Flexible Arbeits- und Berufsvorbereitung (FABV) ist ein Lehrgang mit einer Dauer zwischen 12 und 24 Monaten für Jugendliche und junge Erwachsene, die einen besonderen heilpädagogischen und arbeitstherapeutischen Betreuungsbedarf haben. Der Lehrgang ist eine stationäre Jugendhilfemaßnahme im Rahmen des SGB VIII. Für die Maßnahme wurde auf der Grundlage der erteilten Betriebserlaubnis eine Leistungs- und Entgeltvereinbarung mit der Regierung von Schwaben geschlossen. Das Angebot gibt es am KJF Berufsbildung- und Jugendhilfezentrum Sankt Nikolaus  in Dürrlauingen.

Individuelle Förderung

Die FABV schafft in Verbindung von Alltagsgestaltung und reflektiertem pädagogischem Handeln ein Struktur gebendes Milieu von Sicherheit und emotionaler Akzeptanz. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen können adäquate soziale Verhaltensweisen und berufliche Lebensperspektiven entwickeln. Die für die später angestrebte berufliche Qualifizierung notwendigen Kompetenzen entstehen durch die Förderung des Zusammenlebens und -arbeitens in der Gemeinschaft sowie durch berufsfeldspezifische und schulische bzw. therapeutische Förderangebote. Die enge Vernetzung im Wochenablauf mit dem heilpädagogischen Wohnbereich und der Berufsschule Sankt Nikolaus zur Sonderpädagogischen Förderung mit den Schwerpunkten Lernen und soziale / emotionale Entwicklung bildet dabei ein wichtiges Kriterium für den Fördererfolg.

Der FABV-Lehrgang ist ein Angebot für Jugendliche und junge Erwachsene beiderlei Geschlechts, die psychisch beeinträchtigt sind bzw. erhebliche Anpassungsprobleme im Verhalten haben und deshalb noch nicht in der Lage sind, auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Berufsausbildung zu absolvieren bzw. keiner Beschäftigung nachgehen können.

Kriterien für die Aufnahme

Im FABV-Lehrgang werden fünf Teilnehmende zwischen 15 und 21 Jahren von einer arbeitspädagogischen Fachkraft betreut. In der Regel treffen für sie jeweils mehrere der folgenden Kriterien zu:

  • ohne  oder mit Hauptschulabschluss
  • Entwicklungs-, Verhaltens- und emotionale Störungen
  • Lernbeeinträchtigungen und Schulleistungsstörungen
  • Störungen im Bereich Sozial-, Arbeits- und Leistungsverhalten
  • Reaktiven Störungen
  • Störungen im Umfeld jugendpsychiatrischer Krankheitsbilder
  • Verhaltensstörungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen
  • Bedarf einer ambulanten, jugendpsychiatrischen Betreuung
  • Defizite beim Erlernen von Schlüsselqualifikationen

Nicht für die Maßnahme geeignet sind Jugendliche und junge Erwachsene, die akut drogenabhängig sind, eine stationäre psychiatrische Behandlung benötigen, ein hohes Gewaltpotenzial aufweisen oder wegen ihrer Körperbehinderung auf besondere spezifische Hilfen angewiesen sind.

Drei Aufgabenstellungen und weitere Ziele 

Im Mittelpunkt des Qualifizierungskonzepts stehen vorrangig drei Aufgabenstellungen:

  • Erreichen der Berufswahlreife
  • Erreichen der Ausbildungsreife
  • Erreichen der Arbeitsreife bei Teilnehmenden, die für eine Ausbildung nicht geeignet sind 

Durch die angebotenen erzieherischen und sozialtherapeutischen Hilfen sollen weiter folgende Ziele erreicht werden:

  • Erarbeitung eines Schwächen-Stärken-Profils
  • Aufbau und Einübung von Schlüsselqualifikationen
  • Schaffung einer tragfähigen Beziehung zwischen dem/der Teilnehmenden und der arbeitspädagogischen Fachkraft
  • Verbesserung der beruflichen Handlungsfähigkeit
  • Schaffung einer angstfreien, gewaltfreien und repressionsfreien Atmosphäre
  • Minderung, Abbau oder Überwindung von behinderungsbedingten Erschwernissen im Arbeitsalltag
  • Beseitigung und / oder Verminderung von psychischen Beeinträchtigungen, die eine Berufswahlreife einschränken

Überprüft und fortgeschrieben werden die Ziele im Rahmen des Hilfeplanverfahrens. Dabei werden in Absprache mit den zuständigen Jugendämtern die pädagogischen Hilfen und Maßnahmen an die Bedürfnisse der Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen jeweils angepasst. Die Beteiligung des jungen Menschen am Förderprozess, insbesondere an allen ihn betreffenden Förderplankonferenzen und Berufswahlgesprächen, unterstützt die Nachhaltigkeit einer positiven Entwicklung und entspricht unser wertorientierten Grundhaltung. Die Teilnahme an der FABV und die damit oft verbundene Fremdplatzierung sind meist gekoppelt an eine grundlegende Veränderung der Lebenssituation und an eine Herausnahme des jungen Menschen aus dem gewohnten sozialen Umfeld. Die Betreuungs- und Bildungsarbeit des FABV bietet den Teilnehmenden umfassende Rahmenbedingungen, damit sie die in dieser Lebensphase notwendigen Entwicklungsschritte erfolgreich bewältigen können.

Zwei Qualifizierungsphasen mit individuellem Einstieg

Inhaltlich ist der FABV-Lehrgang in zwei Qualifizierungsphasen unterteilt:

  1. Phase: Eingewöhnungs- bzw. Grundqualifizierung
  2. Phase: Aufbauqualifizierung

Die Dauer der Lehrgangsphasen hängt vor allem von der individuellen Eingewöhnungssituation, von der jeweiligen Arbeitsmotivation und von den Lernfortschritten der Teilnehmenden ab. Die Heterogenität der Leistungspotenziale und die unterschiedlichen Verhaltensstörungen erfordern, dass für jede/n Teilnehmende/n individuelle Förderziele im Leistungsniveaubereich gesetzt werden. Unser Prinzip ist es, den jungen Menschen dort abzuholen, wo er steht, damit er seine individuellen Leistungsmöglichkeiten ausschöpfen kann. Deshalb ist auch ein Lehrgangseinstieg im gesamten Jahresverlauf jederzeit möglich.

In der Eingewöhnungs- und Grundqualifizierungsphase erhalten die Teilnehmenden zunächst Gelegenheit zur Orientierung in der Einrichtung und zum gegenseitigen kennen lernen. Daran schließt sich eine Einführung in verschiedene Arbeitsmittel (Werkzeugkunde) und in die grundlegenden handwerklichen Arbeitstechniken in verschiedenen Materialbereichen (z.B. Holz, Metall, Farbe, Ernährung und Hauswirtschaft) an. Ziel ist es, dass der/die Teilnehmende bei sich eine Arbeitsmotivation und Arbeitshaltung aufbaut, die ihn/sie in die Lage versetzt, über mehrere Stunden zu arbeiten.

Die jungen Menschen erhalten zunächst im Rahmen von Einführungstagen die Möglichkeit, sich gegenseitig und die für sie zuständigen Fachkräfte kennen zu lernen. Sie erhalten Informationen über die Schwerpunkte der vorberuflichen Förderung und die vorgesehenen zeitlichen Abläufe. Dadurch sollen die sie ermutigt werden, Ängste und sprachliche Barrieren abzubauen und eine ausreichende Motivation für die Teilnahme am Lehrgang zu entwickeln.

Die darauf folgenden Arbeitsbereiche sind hinsichtlich der Tätigkeiten und Materialbereiche sowie der Arbeitsabläufe sehr flexibel und abwechslungsreich konzipiert. Arbeitsperioden werden abhängig vom individuellen Durchhaltevermögen des jungen Menschen mit Entspannungs- und Freizeitaktivitäten unterbrochen. Die Länge der täglichen Arbeitszeit ist ebenfalls individuell abgestimmt. Durch die enge zeitliche Verzahnung mit den Heilpädagogischen Wohngruppen ist bei Bedarf die Herausahme des/der Teilnehmenden aus der Arbeitssituation am Nachmittag jederzeit möglich.

Zum Ende dieser Phase findet eine Eignungsabklärung statt, anhand der ein persönliches Leistungsprofil erstellt wird.

Ziel der Aufbauqualifizierung ist zunächst die Herausbildung und Festigung der für die Aufnahme einer Ausbildung oder Arbeit erforderlichen persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Im Mittelpunkt stehen dabei die Berufsorientierung und der Berufswahlprozess. Der junge Mensch durchläuft deshalb mehrere Berufsfelder, die sich an seinem Berufswunsch orientieren. Die Berufsfelder, die Reihenfolge des Ablaufs und die Erprobungsdauer sind auf jede/n einzeln abgestimmt. Berufsfelder sind:

  • Holz
  • Metall mit Montagearbeiten
  • Farbe und Lack in einem Gestaltungsprojekt
  • Dienstleistungs- und Lagerarbeiten (Hausmeisterdienst)
  • Ernährung und Hauswirtschaft
  • Gartenbau in der Landschaftspflege
  • Papier, Pappe, Leder und Textil mit Produktionsarbeiten

Hat ein junger Mensch das für ihn passende Berufsfeld gefunden, wird er in diesem speziell gefördert. Dabei werden weiterführende Grundkenntnisse und Grundfertigkeiten vermittelt, die ihm ermöglichen sollen, nach dem Ende der Berufsvorbereitung in diesem Bereich eine Ausbildung im Berufsbildungswerk bzw. eine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt aufnehmen zu können. Innerhalb des zweiten Halbjahres absolviert der/die Teilnehmende in verschiedenen Ausbildungswerkstätten des gewählten Berufsfeldes mehrere Praktika. Dabei wird beobachtet und festgestellt, ob die beschriebenen Zielkriterien erreicht werden.

Schule und Unterricht

Die Beschulung des FABV-Lehrgangs erfolgt an zwei Schulhalbtagen mit insgesamt neun Unterrichtsstunden. Sie umfasst die Fächer Deutsch, Fachrechnen, Sozialkunde, Fachunterricht, Datenverarbeitung, Religion / Ethik und Sport. Der Unterricht ist immer mit zwei Lehrkräften doppelt besetzt.

Ziel der Beschulung im FABV ist es, Schülerinnen und Schüler, die oft viele Monate keine Schule mehr besucht haben und häufig tief sitzende negative Erfahrungen mit Schule verbinden, wieder in die Lage zu versetzen, an einer Beschulung teilzunehmen und an Schule zu gewöhnen.

Ziel ist es, dass die jungen Menschen, basierend auf einer guten Beziehung zu den Lehrkräften, eine positive Einstellung gegenüber der Institution Schule gewinnen. Die Lehrkräfte arbeiten differenziert, mit einem rhythmisierten abwechslungsreichen Unterricht; sie ermutigen und fördern die Schülerinnen und Schüler, sich schulischen Aufgaben zu stellen. Die Lehrkräfte sind eng vernetzt mit den Prozess- und Bildungsbegleitern  und treffen sich regelmäßig zur kollegialen Fallberatung mit diesen und den Bezugsbetreuern aus dem Wohnbereich.

In der FABV-Werkstatt werden die Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch einen Arbeitspädagogen mit den Anforderungen der Arbeits- und Berufslebens vertraut gemacht. Eine qualifizierte pädagogische Fachkraft ist als Bildungsbegleitung  wichtiger Ansprechpartner vor Ort. Zur medizinischen, logopädischen, motopädagogischen, psychiatrischen und heilpädagogischen Begleitung steht bedarfsgerecht  Fachpersonal im KJF Berufsbildungs- und Jugendhilfezentrum  Sankt Nikolaus zur Verfügung.  

Weitere Informationen 

Weitere Informationen zu Sankt Nikolaus, einem der drei KJF Berufsbildungs- und Jugendhilfezentren in Bayern, gibt es online auf www.sankt-nikolaus.de